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Während auf dem Meer das Inferno aus Todesschreien, Flammen und Gestank tobte, herrschte im Boot die Ruhe einer Schachpartie. Ruder- und Maschinenkommandos, Feuererlaubnis für Torpedos, Ausweichkurse, all das teilte sich die Mannschaft nicht einen Deut lauter als nötig mit. U 99 glitt in dieser kalten Nacht aufgetaucht durch die Wellen des Atlantiks – und der Kommandant Otto Kretschmer sagte auf der Brücke hinter seinem Fernglas wie gewöhnlich so gut wie kein Wort.
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Sieben Schiffe versenkte das Boot von „Otto dem Schweigsamen“ Mitte Oktober 1940 beim Angriff auf den britischen Geleitzug „SC 7“. Torpedos zerfetzten ihre Außenwände, das Wasser rauschte herein, dann fuhren die Kolosse in die Tiefe, oft mit Dutzenden von Menschen an Bord. Niemand hat sie gezählt, die Väter, Ehemänner und Brüder, die bei Kretschmers Einsätzen ertranken, verbrannten oder im eiskalten Wasser erfroren. Denn jeder Konvoi hatte den strikten Befehl, nicht auf Schiffbrüchige zu warten.
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Sehr wohl trugen die drei Nächte im Oktober dazu bei, dass die Nazi-Propaganda Kretschmer zum „Tonnenkönig“ hochjubelte, obwohl er das eigentlich gar nicht wollte. Da wurde er zur sagenumwobenen Gestalt, die mehr Schiffsraum „ausradierte“ als jeder andere U-Boot-Fahrer, zu dem Mann, der den „Saufbold“ Churchill zittern ließ, wenn der Engländer nur an ihn dachte. Auch Leuten wie Kretschmer ist es damit zu verdanken, dass um die deutsche U-Boot-Waffe bis heute ein Kult gepflegt wird, der weit über alles hinausgeht, was bei anderen Truppenteilen üblich ist.
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Eine Serie wie „Das Boot“ ist da nur ein Beispiel, hinzu kommen begleitende Dokumentationen oder Memorialliteratur – mit den Jägern unter Wasser, die bald zu Gejagten in stählernen Särgen werden sollten, lässt sich immer noch Aufmerksamkeit erregen. Und es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der Zweite Weltkrieg einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn Hitler und die Marineleitung das Potenzial der Boote früher erkannt hätten. Ehemalige Kommandanten wie Reinhard Hardegen haben diese These nach dem Krieg stets wiederholt.
Historisch betrachtet fiel die Jagd auf den Geleitzug „SC 7“ in eine Phase, die viele Chronisten als „glückliche Zeit“ bezeichnen. Zwar war Deutschland nur mit einer Flotte von 50 Booten in den Krieg gezogen, von denen viele nicht einmal für den Einsatz im Atlantik taugten.
Aber noch 1939 war es U 47 unter Kapitänleutnant Günther Prien gelungen, in die britische Seefestung Scapa Flow einzudringen und dort das Schlachtschiff „Royal Oak“ zu versenken. Das war zwar nur ein symbolischer Erfolg, den die Propaganda übermäßig ausweidete, er zeigte aber auch, dass die zur See übermächtigen Briten verwundbar waren.
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Die Schlacht um den Konvoi „SC 7“, der von Kanada nach Liverpool unterwegs war, ging als das Ereignis in die Geschichte ein, das jedem verdeutlichte, wie militärisch richtig die Rudeltaktik von Karl Dönitz war, dem Chef der U-Boote: Sie sah vor, dass ein Boot, das einen Geleitzug entdeckte, diesen nicht sofort angriff, sondern mehrere Jäger über Funk an die durch Zerstörer gesicherten Kolonnen heranführte. Die konzentrierte Attacke erfolgte dann bei Nacht über Wasser und baute auf der Erkenntnis auf, dass der Feind die Boote je weniger deutlich erkennen konnte, je näher sie ihrem Ziel waren.
Dönitz hatte im Ersten Weltkrieg selbst auf einem Boot gedient. Er brachte seinen Kommandanten die Vorgehensweise im persönlichen Gespräch mit den Worten nah: „Angriff! Ran! Versenken! Ihr werdet nicht gesehen!“ Der Geleitzug „SC 7“ war ein optimales Ziel, seine 35 Dampfer liefen langsam mit weniger als acht Knoten Fahrt. Die Gruppe bestand aus älteren kleineren Schiffen, die hauptsächlich Massengüter an Bord führten. Die meisten davon stammten von der kanadischen Ostküste.
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Die Fracht bestand hauptsächlich aus Grubenstempeln für die Kohlebergwerke in Nordengland, aber auch Getreide wurde transportiert sowie Bauholz und Eisenerz für die Stahlwerke in Wales. Das größte Schiff in dem Verbund war mit 9512 Bruttoregistertonnen (BRT) der Öltanker „Languedoc“. Er gehörte zur britischen Admiralität und hatte Treibstoff für die Royal Air Force geladen. Ein anderer Dampfer, die „Empire Brigad“, trug eine große Zahl Lastwagen, die für den Nachschub auf der Insel sehr wichtig waren.
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Als sich der Geleitzug am 16. Oktober der Westküste der britischen Inseln näherte, griffen sieben deutsche Boote an. Neben Otto Kretschmers U 99 standen drei weitere unter dem Kommando prominenter Befehlshaber, namentlich U 46 unter Engelbert Endrass, der als Wachoffizier Günther Prien in Scapa Flow gedient hatte, U 48 unter Heinrich „Ajax“ Bleichrodt und U 100 unter Joachim Schepke, der mit seinem schmalen Gesicht und dem drahtigen Körper dem Propaganda-Idealbild des „Asses der Tiefe“ besonders nah kam.
Dönitz koordinierte die Schlacht von Lorient aus – „SC 7“ war erst der vierte Konvoi, bei dem seine Rudeltaktik zum Einsatz kam. Drei Tage lang wüteten die Boote, indem sie sich oft mitten unter die Kolonnen mischten und ihre Opfer aus nächster Nähe torpedierten. Zum Schutz der Frachter hatte die britische Admiralität lediglich die HMS „Scarbourough“ abgestellt, entsprechend chancenlos waren die Frachter.
Der 19. Oktober war der schwärzeste Tag für die Gruppe: Neun Schiffe versenkten die Deutschen, darunter die „Empire Brigand“ mit ihrer Ladung Lkw. Auch die „Assyrian“ ging verloren, der Dampfer des Geleitzug-Kommandeurs Lachlan Mackinnon. Den Admiral konnte man retten, aber 17 seiner Seeleute fanden den Tod, ebenso wie sechs Besatzungsmitglieder der „Empire Brigand“ und 38 von 39 Mann auf der „Fiscus“.
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Auch auf deutscher Seite herrschte zeitweise das blanke Chaos. Dafür verantwortlich war auch ein Phänomen, das in Marinekreisen spöttisch „Halsschmerzen“ hieß – die sagte man Kommandanten nach, die möglichst schnell das Ritterkreuz (und seine Steigerungen) um den Hals gelegt bekommen wollten. So meldeten mehrere Boote, jeweils dieselben Schiffe versenkt zu haben, um sich die versenkte Tonnage gutschreiben zu können.
Entsprechend verrechnete sich auch die U-Boot-Führung zunächst und nahm 30 Schiffe mit etwa 200.000 BRT als versenkt an. Die tatsächlichen Verluste von „SC 7“ betrugen 20 seiner 35 Schiffe. Die verlorene Gesamttonnage belief sich auf 79.592 BRT, also nicht einmal die Hälfte dessen, wovon die Deutschen zunächst ausgegangen waren.
Das Zusammenlaufen der Geleitzüge „SC 7“ und „HX 79“ zerstreute die U-Boote, die im weiteren Verlauf jedoch zwölf Schiffe von „HX 79“ versenkten: 32 Schiffe innerhalb von nur fünf Tagen verloren die Briten, die deutschen Boote blieben alle wohlbehalten. Für die NS-Propaganda war das natürlich ein Fest: Sie fasste die beiden Angriffe zusammen und erweckte unter dem martialischen Titel „Die Nacht der langen Messer“ den Eindruck einer Mutter aller moderner Seeschlachten.
Doch schon bald sollten die Briten so viel dazugelernt haben, dass ihnen immer bessere Abwehrtaktiken zur Verfügung standen. Ihnen fielen im März 1941 die Boote der „Asse“ Kretschmer, Prien und Schepke zum Opfer. Nur Kretschmers Crew überlebte; er geriet nach 16 Feindfahrten, bei denen er 46 Schiffe mit knapp 275.000 BRT auf den Grund des Meeres geschickt hatte, in Kriegsgefangenschaft. Mit dem Kommandanten der HMS „Walker“, die sein Boot zum Auftauchen gezwungen hatte, verband Otto Kretschmer später eine Freundschaft. Filmaufnahmen aus den Jahren nach dem Krieg zeigen einen Mann, der noch immer damit hadert, früh aus der Schlacht um den Atlantik ausgeschieden zu sein.
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Seine Überlebenschancen hätten sich mit zunehmender Dauer nicht verbessert. Spätestens ab Mai 1943, als die Alliierten das Seeüberwachungsradar klein genug für ein Flugzeug bauen konnten, waren die Boote ihren Gegnern fast schutzlos ausgeliefert. Horrende Verluste kommentierte die deutsche Seekriegsleitung mit Worten wie „ein Opfergang ist nie schön“.
Am Kartentisch oder im Offizierscasino sagen sich solche Dinge leicht. Mehr als 30.000 der knapp 40.000 deutschen U-Boot-Männer starben, das ist prozentual mehr als bei jeder anderen Waffengattung. Vielleicht ein weiterer Grund für den Mythos – und auf alle Fälle ein Beleg für die These, dass Kriege zwar Helden gebären, diese sich an ihrem Ruhm aber meistens nicht lange erfreuen können.
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